Worte taugen mehr als Bilder

Der Poet

 

Der Poet

von Walter Ineichen

 


 

Was braucht der Dichter Materielles 

für seine hohe Kunst?

Gar nicht vieles Spezielles,

nur Tinte, Feder und Papier 

Stuhl und Tisch und etwas Licht 

mehr braucht er zum Dichten nicht.

 

Ein Stückchen Brot und etwas Wein,

eine warme Kammer,

darin ein Bett für sich allein

würde er auch nicht verachten,

es käme ihm sogar gelegen,

sein müdes Haupt drauf hinzulegen.

 

Nun sitzt er hier, allein für sich

spitz ist seine Feder

und nach dem ersten Federstrich

ist er bereits masslos enttäuscht

von dem, was er sich hat erdacht

und freudlos zu Papier gebracht.

 

Wie manches Blatt hat er zerrissen?

Unsinn stand darauf.

Er denkt und denkt, er ist verbissen

Sein Fluchen ist zu hören:

Es ist aus, es ist vorbei!

Wo seid ihr Götter? Steht mir bei!

 

Einsam ist er und verlassen,

traurig der Poet

Vom guten Geist im Stich gelassen

schreitet er durchs Kämmerlein,

schaut zwischendurch mal aus dem Fenster

und sieht jetzt überall Gespenster.

 

Wie wird sein Hirn nun animiert?

Am Weinglas wird genippt.

Bald läuft die Arbeit wie geschmiert

er kann kaum inne halten.

Nach dem Betrachten seiner Zeilen

sagt er zu sich: Sehr gut einstweilen.

 

Beflügelt ist die Fantasie

die Tinte sprudelt weiter

Er schreibt und kritzelt schnell wie nie

und nippt noch mehr des Weines

Die Götter senden Geistesblitze

und fröhlich tanzt die Federspitze.

 

In Prosa oder Poesie

geschrieben vom Poeten

vollendet wär' sein Opus nie

auch wenn es einmal publiziert

und von den grossen Literaten

gelobt wird als sehr gut geraten.

 

Denn liest's der Dichter selber wieder

dann mit andern Augen

auch denkt er nunmehr anders drüber

als die gepries'nen Literaten.

Könnt' er die Feder nochmals führen

würd' er manches korrigieren.

 

Es ist zu spät, 's gibt kein zurück

fest steh'n sie die Lettern

vielleicht ist dies des Dichters Glück

vermeintliche Verbesserungen

können wohl in unsrem Leben

das pure Gegenteil ergeben.

 

Liest man die Dichtkunst überhaupt?

zu gönnen wär's dem Dichter

vielmehr findet sich sein Werk verstaubt,

vergessen im Regal

und irgendwann ganz unerkannt

in einem Feuerloch verbrannt.

 

Dies ist das Schicksal jeder Kunst

die irgendwann geschaffen

sie ist und bleibt ein blasser Dunst 

wird sie nicht rezipiert.

Der Mensch muss sie erwerben

soll die Kunst nicht sterben.

 

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Der Poet.pdf (61094)


 

 

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