Worte taugen mehr als Bilder

Der Versager

 

Der Versager

von Walter Ineichen

Ich hatte nie Erfolg im Leben

zu gar nichts hab‘ ich es gebracht

mich gab‘s nur unter “ferner liefen“ 

als Kind schon wurd‘ ich ausgelacht.

 

Ich hab‘ ein hässliches Gesicht

und da liegt wohl des Pudels Kern

mein Leben stand aus diesem Grunde

wohl unter einem schlechten Stern.

 

Ich war zwar gar kein schlechter Schüler

nur wurd‘ ich falsch erzogen

ich wurde immer ausgegrenzt

von so genannten Pädagogen.

 

Im Rechnen hatt‘ ich eine Drei

im Zeichnen war ich hoffnungslos

mein Lehrer meinte sehr sarkastisch

was du da kritzelst ist famos.

 

Meine Meinung wurde meist missachtet

oder mit “stimmt nicht“ quittiert

dies verdammte mich zu schweigen

ich hätte mich ja nur blamiert.

 

Bei Spiel und Sport war ich nichts wert

dazu war ich viel zu schmächtig

das Rennen, Klettern, Werfen

überforderte mich mächtig.

 

Ich schluckte alles nur hinunter

und weinte oft im Kämmerlein

hat mein hässliches Gesicht

mich verdammt zum einsam sein?

 

Bin ich wirklich dumm,

wie es meine Mitwelt sagt?

Oder bin ich ein Genie

was kein Mensch zu sagen wagt?

 

Ich hab‘ dies‘ Leid sehr tief empfunden

und keinem Menschen mitgeteilt

ich habe keinen Freund gefunden

der es hätt‘ mit mir geteilt.

 

Durch einen Zufall so zu sagen

stiess ich auf ein dickes Buch

es war ein Werk von Gottfried Keller

ich las es ohne Unterbruch

in meinem stillen Kämmerlein,

es linderte mein Einsamsein.

 

Ich staunte, was der Dichter schrieb

und verstanden hab‘ ich‘s auch

die Schule hat‘s mich nie gelehrt

von schönen Künsten keinen Hauch.

 

So ganz alleine, nur für mich

las ich die klassischen Autoren,

und deren grosse Poesie

klang wie Musik in meinen Ohren.

 

Besonders fasziniert bin ich

vom König aller Verse

und damit mein‘ ich Wilhelm Busch

ich mache mich auf seine Ferse.

 

Ich hab‘ wohl ‘nen Beruf erlernt

und viele Jahre ausgeübt

ich kriegte einen Hungerlohn

das hat mich noch viel mehr betrübt.

 

Man hat mich schamlos ausgebeutet

wehren konnte ich mich nicht

ich war zu scheu und zu lethargisch

ich hab‘ ein hässliches Gesicht.

 

An Klassentreffen ging ich nie

ich hätt‘ mich dort nur schämen müssen

zudem verspürt‘ ich keine Lust

alte Freunde zu begrüssen,

die für mich nie solche waren,

die mich auch heut‘ nicht achten werden

nach all den vielen Jahren.

 

An solchen heuchlerischen Festen

wird ohnehin nur diskutiert

wer‘s im Leben wie weit brachte

und wer ein braves Leben führt.

 

Hattest du Erfolg im Leben

wird man dich beneiden

man flüstert hinter deinem Rücken:

“Ich kann den Kerl nicht leiden“.

 

Wenn du‘s zu gar nichts hast gebracht

stuft man dich als Versager ein

man flüstert hinter deinem Rücken:

“Bedauernswert, das arme Schwein.“

 

Zum Abschied drückt man sich die Hände

wie schön war doch das Wiedersehen

und einer rülpst noch in die Runde

man sollte sich viel öfter sehen.

 

Ach wie gerne hätte ich

die Liebe einer Frau gespürt

sie liebevoll an mich gedrückt

und zum Traualtar geführt.

 

Doch die holde Weiblichkeit

sie hat mich kaum beachtet.

Bin ich daran selber schuld?

Hab‘ ich die Schüchternheit gepachtet?

 

Wie gerne hätte ich im Leben

jemand etwas mitgegeben

und sei dies Etwas bloss

ein winzig kleiner Denkanstoss

zur Philosophie des Lebens

ich versuchte es vergebens.

 

Und ist es mir dennoch gelungen

nur hörte ich kein Dankeschön

dann sage ich dem Unbekannten:

“Ich tat‘s zu deinem Wohlergeh‘n“.

 

Könnte ich mir etwas wünschen

wär‘ dies weniger für mich

nein, ich wünscht‘ es all den Menschen

die geraten sind wie ich:

Mög‘ die Mitwelt uns verstehen

und nicht nur auf das Aeuss‘re sehen.

 

Und wenn diese meine Worte

einen Denkanstoss auslösen

bei einem oder andern Leser

sind sie ein Erfolg gewesen,

ein einziger in meinem Leben

und der mich künftig denken lässt:

“Ich durfte etwas geben“.

 

Dies lindert meine grosse Pein

ein Versager nur zu sein.

 

* * * * * 

zum Ausdrucken hier klicken

Der Versager .pdf (86247)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Site durchsuchen

© 2008 Alle Rechte vorbehalten.